Buchtipp: Übergangsräume Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn

Übergangsräume. Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn
Tobias Michnik und Leander Nowack
224 Seiten
Urbanophil, Berlin 2021
ISBN 978-3982-0586-3-4
29 Euro

Aufmerksamen Autofahrer*innen sind sie auf der Berliner Stadtautobahn vielleicht schon einmal aufgefallen: seltsame Ein- und Ausbuchtungen am Fahrbahnrand, ausgestattet mit Treppenhäusern, Überdachungen oder Begrenzungselementen aus Beton – leere Räume mit rudimentärer Gestaltung, jedoch ohne erkennbare Funktion. Es handelt sich dabei um Relikte einer seltenen Typologie: An diesen hybriden Orten zwischen Stadt und Autobahn warteten ab 1958 bis in die 1990er Jahre hinein West-Berliner*innen auf den Bus Nummer 65, der parallel zum S-Bahn-Ring zwischen Wedding und Neukölln direkt auf der heutigen A 100 verkehrte. Nun offerieren diese geradezu paradoxen Aufenthaltsräume für Fußgänger*innen inmitten einer Transitzone ein ungenutztes Raumpotenzial.

All denen, die mehr über die ehemaligen Bushaltestellen erfahren möchten, die einst den vielbeschworenen Verkehrsfluss der „autogerechten Stadt“ auf subtile Weise unterbrachen, sei die jüngst erschienene Publikation Übergangsräume von Tobias Michnik und Leander Nowack empfohlen. Das Buch inventarisiert erstmals diese schon in Vergessenheit geratenen Verkehrsbauten der jüngeren Berliner Vergangenheit und ist das Resultat einer mehrjährigen Recherche, die 2017 mit der Abschlussarbeit der beiden Autoren im Studiengang Architektur an der Universität der Künste Berlin begann. Das Thema lag sozusagen vor der Haustür: Michnik und Nowack wohnten damals nur wenige Meter von einem der früheren Haltepunkte entfernt. Grund genug für sie zu fragen, was das eigentlich für Bauten sind, wie sie entstanden und was sich künftig mit ihren Überresten anfangen ließe.

In fünf Kapiteln – übertitelt mit „freilegen“, „erforschen“, „ordnen“, „reflektieren“ und „projektieren“ – erzählen die zwei Architekten unterhaltsam und detailreich über Geschichte und Gegenwart der 13 Bushaltestellen, erkunden deren Gestaltung ebenso wie die ihnen zugeschriebenen Werte im Wandel der Zeiten. Die Fahrt beginnt bei der Massenmotorisierung und Verkehrseuphorie der 1950er Jahre, in deren Zuge auch die Berliner Stadtautobahn nach dem Vorbild amerikanischer Freeways entstand. Nicht zuletzt als Reaktion auf die politische Teilung Berlins – die Betriebsrechte der S-Bahn lagen weiterhin bei der in der DDR ansässigen Reichsbahn – kamen Senatsbauverwaltung und BVG schon bald auf die Idee, den neuen Schnellverkehrsweg auch für den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.

Die entsprechende Gestaltungsaufgabe fiel an die Architekten Bruno Grimmek, Werner Düttmann und Rainer G. Rümmler, die den Bauwerken eine je eigene Ausformulierung gaben. Ihre unterschiedliche Erscheinung wird von Michnik und Nowack anhand von Zeichnungen und einer Analyse der maßgebenden Motive von der sprichwörtlichen Stelle zum Halten über das Verbindungselement Treppe bis hin zur äußeren Hülle anschaulich dargestellt. Ergänzt wird diese Bestandsaufnahme durch zahlreiche historische Fotografien, Visualisierungen und Pläne aus dem BVG-Archiv.

Als die Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Rings im Jahr 1993 das Ende der Autobahnbuslinie einläutete, blieben die nahtlos mit der Schnellstraße verflochtenen Haltestellen als entwidmete Bauten zurück, die sich – abgesehen von so mancher legalen oder illegalen Zwischennutzung – einem unkomplizierten Abriss ebenso sperren wie einer schlüssigen neuen Funktionszuteilung. Bildstrecken mit zeitgenössischen Aufnahmen zeigen den aktuellen Zustand der einstigen Verbindungsräume, die nun zu bedeutungsoffenen Leerstellen im Zweckgefüge der Stadt geworden sind. Genau das prädestiniert sie in den Augen der beiden Autoren für neue soziale Aneignungen. „Die Bauwerke sind räumliches Kapital der Stadt – die mit der Stadtautobahn verflochtenen Bauwerke sind kulturelle Werte“, lautet das Abschlussplädoyer des Buches.

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