Fahrstuhlschächte aus Holz - Kulturzentrum mit Hotel in Skelleftea von White Arkitekter

Das nordschwedische Skellefteå möchte zu einem international beachteten Hotspot der Nachhaltigkeit werden. Einst lebten die Menschen vom Bergbau, nun wird in neue Technologien investiert. Größter Coup: die Ansiedlung einer Gigafactory mit circa 3.000 Arbeitsplätzen, in der Batterien für die E-Mobilität hergestellt werden. Doch Produktion alleine reicht heute nicht mehr. Deshalb wurde diese Woche ein Kulturzentrum mit Hotel eröffnet. Der fast 80 Meter hohe Turm von White Arkitekter gilt als aktuell zweithöchstes Holzhochhaus weltweit. Ein Besuch vor Ort.

Von Sophie Jung

Schon von weitem ragt der schmale Turm des Sara Kulturhus aus der flachen Landschaft des schwedischen Lapplands hervor. Man sieht zunächst eine Glashülle, doch schnell offenbart sich, dass das gut 80 Meter hohe Hotel aus Holz konstruiert wurde. Holz ist hier ein traditioneller Baustoff, die Gegend von der Forstwirtschaft geprägt, doch in den Nachkriegsjahrzehnten galt das Material als altmodisch. Das kleine Städtchen Skellefteå ist von einer sachlichen Architektur aus Stahlbeton und Ziegeln bestimmt. Doch seit 2014 bindet die gleichnamige Gemeinde, in deren Zentrum das Städtchen mit seinen 33.000 Einwohnern und dem neuen Turmbau liegt, den hier so reichlich vorhandenen Rohstoff wieder in ihre Baupolitik ein.

Die baupolitische Entscheidung für Holz ist Teil einer größeren Strategie. Die Gemeinde will sich in einem ecological turn als herausragender Wirtschafts- und Wohnort im Norden Europas platzieren. Ein Anstieg ihrer Bevölkerung von derzeit 75.000 auf 100.000 Einwohner in den nächsten zehn Jahren ist prognostiziert. Anziehungspunkt für Skellefteå soll auch ein Kulturhaus sein, dessen enorme Dimensionen sich erst vor Ort wirklich erschließen. Unter dem Hotelturm schieben sich große hölzerne Kuben, die auf 13.500 Quadratmetern sechs Bühnensäle, zwei städtische Ausstellungshäuser, die Stadtbibliothek und eine öffentliche Passage fassen. Die Architektur stammt von White Arkitekter (u.a. Göteborg, Stockholm, Umeå).

Als die Gemeinde 2015 einen internationalen Wettbewerb für das Kulturzentrum auslobte, war eine Konstruktion aus Holz keine zwingende Vorgabe gewesen. Trotzdem hatten die meisten Büros entsprechende Entwürfe eingereicht. Es sei an diesem Ort einfach naheliegend gewesen, betont Oskar Norelius von White Arkitekter, um zu ergänzen: „Doch einmal für Holz entschieden, wollten wir es richtig durchziehen und es so viel wie nur irgend möglich verwenden.“ Entstanden ist schließlich ein über 20 Stockwerke reichender, von Glas thermisch umhüllter Holzturm mit ausladender Sockelbebauung, der mit seiner hohen Schmalseite den zentralen Platz des Städtchens geradezu schneidet.

Fahrstuhlschächte aus Holz

12.200 Kubikmeter Holz aus der Region wurden verbaut. Bis auf wenige fixierende und statische Notwendigkeiten ist alles aus dem nachwachsenden Rohstoff: das Tragwerk, die gesamte Konstruktion, selbst die Fahrstuhlschächte. Ausnahmen finden sich etwa im fünften Stockwerk, wo die Haustechnik des Hotelturms liegt. Hier kamen Stahlträger und Beton zum Einsatz. Stahlbeton wurde auch beim Abschluss der 19. und 20. Etage verwendet, um die Windkräfte zu minimieren. White Arkitekter wählten vornehmlich massives Brettsperrholz und Fichte.

Die verantwortlichen Architekten Robert Schmitz und Oskar Norelius setzen den Baustoff gekonnt in Szene: in der offenen Deckenkonstruktion des Foyers, wo die Pfähle zum Lastenausgleich wie monumentale Zapfen herunter hängen; in den Bühnensälen, wo die akustischen Wandpaneele ein regelrechtes Pixelmuster über die Wände legen; nicht zuletzt visuell über das gesamte Gebäude hinweg, wenn innen wie außen das Holz mit seiner Maserung Wände, Böden, Stufen, Geländer, Terrassen und Türen zum Flirren bringt.

Gemeinsam mit dem Bauunternehmen Hent, das bereits das aktuell welthöchste Holzhochhaus in Norwegen realisiert hat, entwickelten White neue technische Modelle und Typen. „Das Schwierigste war, für die Ideen zum Holz auch tatsächlich Lösungen aus Holz zu finden“, resümiert Norelius die sechs Jahre Arbeit an dem Projekt. Für den Hotelturm etwa entwarf das Team vorfabrizierte Module. Jedes Hotelzimmer ist ein solches Modul. Sie wurden über zwölf Stockwerke hinweg übereinander gestapelt und jeweils an vier Punkten fixiert.

Gelungen im Großen, Mängel im Kleinen

Allein auf Grund der Höhe haben sich White beim Wettbewerb aber nicht gegen die 54 Konkurrenten durchgesetzt, betont Tove Wallsten von der schwedischen Architektenkammer. Vielmehr seien es die Effizienz und Flexibilität gewesen, mit der das Büro sechs Bühnen, zwei Kunstgalerien und die Stadtbibliothek in dem Bau organisieren. „Mal sollen 2.000 Besucher*innen kommen können, mal nur 500. Der Bau sollte niemals zu klein sein, aber auch niemals leer wirken“, erklärt Wallsten. Besonders überzeugt habe die Idee einer öffentlichen Passage durch das Kulturhaus vom zentralen Platz des Städtchens im Süden über eine monumentale sogenannte Kulturtreppe hinweg bis zum Bahnhof im Norden (der leider noch auf seinen Anschluss an den Personenverkehr wartet).

Das Sara Kulturhus ist elegant in der Weitsicht, es ist im besten Sinne unaufdringlich gestaltet in der Nahsicht, und es beeindruckt von innen. Doch gerade weil die Architektur so stimmig ist, fallen ihre Unstimmigkeiten besonders auf: Schon von weitem sieht man durch die gläserne Fassade die Kulturtreppe mit ihren großen Sitzstufen, doch zu ihr hin gelangt man nur durch eine verlgeichbar mickrige Zugangssituation als nähme man den Eingang einer Stadtteilschule.

Die Kunstgalerie im ersten Obergeschoss – mit geweißten Wänden und nur künstlich belichtet – ähnelt mit ihren mächtigen Brandschutztüren der Lagerhalle eines Supermarkts. Und im Vergleich zur detailliert ausgearbeiteten Holzfassade ist die Gestaltung auf der Straßenebene mit gebürsteten Metallgeländern, Standardglastüren und Betonpaneelen geradezu lieblos. Ein Blick auf die großen Kulturbauten Europas, mit denen dieses ambitionierte Projekt mithalten möchte, zeigt, dass gerade solche Details die Anerkennung und Langlebigkeit von öffentlichen Bauten ausmachen.

Was kommt?

Die wichtigste Frage aber ist, was dieses Haus mit Stadt und Region machen wird. Seine Symbolträchtigkeit ist hoch. Es ist toll, dass sich eine kleine Gemeinde entschieden hat, in Kultur zu investieren – und dabei so offen war, die Idee einer „experimentellen Küche der verschiedenen Künste“ umzusetzen, wie die Direktorin des Sara Kulturhus Maria Ekberg Brännström das Konzept beschreibt. Doch die Landmarke bleibt ein Hotel, in das jetzt die Nobelkette Elite einziehen wird.

Als das gut 100 Kilometer entfernte Umeå (zusammen mit Riga) im Jahr 2014 Europäische Kulturhauptstadt war, hatte es sich ebenfalls einen solchen hohen Mixed-Use-Bau geleistet. Das Haus mit Bibliothek, Theater, Messezentrum und Hotelturm wurde damals von Snøhetta und White Arkitekter zusammen geplant. Der glatte, weiße und horizontal geglierte Bau ging architektonisch in eine vollkommen andere Richtung und hinterlässt heute den Eindruck, lediglich einen Businessstandort markieren zu wollen, dem die Kultur untergeordnet ist.

In Skellefteå wünscht man sich eine Umkehrung: Wie wäre es denn, wenn die experimentelle Küche in Form von Ateliers, Werkstätten, Wohnräumen bis in alle zwanzig Stockwerke hinauf reicht? Doch bei solch einem Wagnis wäre wohl der Investor Samhällsbyggnadsbolaget nicht auf die Gemeinde zugekommen. Denn Gebäude und Grundstück hat mittlerweile das nordschwedische Immobilienunternehmen erworben. Mit einem 50-Jahres-Vertrag ist die Gemeinde Skellefteå nur noch Mieterin in ihrem eigenen, gut 117 Millionen Euro Kosten annehmenden Pionierprojekt.